Soziale Ungleichheit und Soziale Strukturen
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Innenwelten des Kapitalismus – kritische Subjekttheorien in Sozialwissenschaften und Sozialpsychologie

Saskia Gränitz, M.A.

Übung BA

Die Befreiung aus persönlichen Abhängigkeitsverhältnissen wie dem Lehns- oder Zunftwesen markierte den Übergang zur europäischen Moderne. Die Idee eines autonomen Subjekts - formuliert in den Schriften der Aufklärung - wurde im Zuge der bürgerlichen Revolutionen sogar konstitutionell verankert: 1789 proklamierte die französische Nationalversammlung die Freiheit eines jeden Bürgers, „alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet“. Jedoch schon rund ein Jahrhundert später fiel die Geburt von Sozialwissenschaft und Psychoanalyse unmittelbar zusammen mit wiederkehrenden Verwerfungen in Wirtschaft und Gesellschaft, welche die Subjekte gewaltsam in die Schranken ihrer Autonomie verwiesen. Was war mit dem bürgerlichen Subjekt geschehen? War es noch sprichwörtlich „Herr im eigenen Hause“, oder spielten sich hinter dem Rücken der Handelnden Dinge ab, von denen sie nichts wussten, vielleicht aber etwas ahnten, da sie ihnen immer wieder in Form von Symptomen – als Krankheit, Krise oder Krieg – gegenübertraten.

Eine zentrale Aufgabe der soziologischen Disziplin ist es, die strukturellen Bedingungen des individuellen Handelns, Denkens und Wollens zu sondieren. Diese Bedingungen begrifflich zu bestimmen, ist in letzter Konsequenz eine Frage der (stets auch normativen) Axiomatik der eigenen Theoriebildung. Vor allem in den materialistischen und kritischen Gesellschaftstheorien wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass relativ autonom unter kapitalistischen Verhältnissen seit jeher nur sein konnte, wer über entsprechende Ressourcen verfügt – also über die notwendige ‚Kapitalausstattung‘, um dem alltäglichen Überlebenskampf der mittellosen Klassen zu entgehen. Denn an der (subtilen) Gewaltsamkeit marktförmiger Zurichtung und den Zumutungen sozialpolitischer Aktivierung offenbart sich insbesondere im Verhältnis zur Lohnarbeit bis heute das Spannungsfeld zwischen Anspruch und Wirklichkeit der aufklärerischen Losung „alles tun zu können“. Ist das ‚autonome‘ Subjekt selbst also schon immer Fiktion gewesen? Oder ist Subjektivierung eine Klassenfrage? Wo liegen die Grenzen bürgerlicher Subjektkonstitution, bzw. woran scheitert diese historisch? Und in welchem Verhältnis stehen Subjekt und Gesellschaft, bzw. inwiefern wandelt sich dieses Verhältnis im Kontext unterschiedlicher Phasen des Kapitalismus?

In der Übung werden Schlüsseltheoreme aus Soziologie, Psychoanalyse und Sozialpsychologie gemeinsam erschlossen und subjekttheoretische Ansätze von u.a. Marx, Freud, Fromm, Adorno, Marcuse, Foucault und Ehrenberg rekonstruiert. Die jeweiligen Theorien werden einerseits in ihren historischen Kontext, andererseits in ihren wissenschaftlichen Zusammenhang eingeordnet und diskutiert. Begleitend werden wir einschlägige Sekundär- und Forschungsliteratur heranziehen, die nicht nur bei der Erschließung der Primärliteratur helfen sollen, sondern auch einen Einblick in Debatten und Theoriegeschichte vermitteln. Der Leistungsnachweis erfolgt in Form eines Gruppenreferates sowie verschiedenen kleineren schriftlichen Übungsaufgaben, die über das Semester verteilt zu erbringen sind.

Literatur

  • Busch, Hans-Joachim (Hrsg.) (2007): Spuren des Subjekts. Positionen psychoanalytischer Sozialpsychologie. Schriften des Sigmund-Freud-Instituts. Reihe 3, Psychoanalytische Sozialpsychologie, Bd. 1. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
  • Demirovic, Alex; Kaindl, Christina; Krovoza, Alfred (Hrsg.) (2010): Das Subjekt - zwischen Krise und Emanzipation. Münster: Westfälisches Dampfboot.
  • Eichler, Lutz (2013): System und Selbst. Arbeit und Subjektivität im Zeitalter ihrer strategischen Anerkennung. Bielefeld: Transcript.
  • Kaindl, Christina (Hrsg.) (2007): Subjekte im Neoliberalismus. Marburg: BdWi-Verl.
    Keupp, Heiner (Hrsg.) (1994). Zugänge zum Subjekt. Perspektiven einer reflexiven Sozialpsychologie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Koppetsch, Cornelia (Hrsg.) (2011): Nachrichten aus den Innenwelten des Kapitalismus. Zur Transformation moderner Subjektivität. Wiesbaden: VS.
  • Krasmann, Susanne; Volkmer, Michael (Hrsg.) (2007): Michel Foucaults "Geschichte der Gouvernementalität" in den Sozialwissenschaften: internationale Beiträge. Bielefeld: transcript.