Soziale Ungleichheit und Soziale Strukturen
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Erinnerungen an Ulrich Beck (1944-2015)

In Ulrich Becks Fußstapfen treten zu können: Diese Möglichkeit ist in jeder Hinsicht einmalig. Die realistische Gefahr, dass sich diese Fußstapfen – sein institutional and intellectual footprint – womöglich doch als zu groß erweisen könnten, habe ich bei der Annahme des Rufs auf Ulrich Becks Nachfolge durchaus in Rechnung gestellt. Zugleich aber war ich mir sicher, dass ich, obwohl in einem anderen wissenschaftlichen Paradigma beheimatet, jedenfalls die Richtung des von ihm begangenen Weges weitergehen wollen würde: Den Weg einer zeitdiagnostisch orientierten, an den „großen Fragen“ der Strukturkrisen und Entwicklungsdynamiken moderner Vergesellschaftung interessierten, auch der nicht-akademischen Öffentlichkeit zugewandten Soziologie. Zum 1. Oktober vergangenen Jahres habe ich das ehemalige Büro Ulrich Becks in der Konradstraße 6 bezogen. Nur ein Quartal lang hatte ich Gelegenheit, an diesem Ort seine Anwesenheit in Abwesenheit zu erfahren – interpunktiert durch ein längeres spätnachmittägliches Gespräch im Café Florian, bei dem wir beide, so wage ich zu behaupten, etwas von unseren eigenen wissenschaftlich-politischen Anliegen im Gegenüber erkannten. Nun ist er, am ersten Tag des neuen Jahres, einfach so plötzlich gestorben. Seine abwesende Anwesenheit wird zwangsläufig eine andere Form, eine neue Qualität annehmen. Aber sie wird, soviel ist gewiss, nachhaltig fortwähren.

Stephan Lessenich


Die Nachricht zum Jahresbeginn war schockierend: Im Oktober noch waren wir alle – seine "Schülerinnen und Schüler" – zu seinem 70. Geburtstag zusammen gekommen. Ulrich wollte sehen, was aus uns geworden ist – "in welche Richtungen sich die Soziologie verläuft", wie er es mit ungewohnter Trauer formulierte. Es war eine bewegte Diskussion, wie immer mit ihm, kontrovers und inspirierend. Am späten Abend gingen wir beschwingt auseinander. Keiner hätte gedacht, dass wir Ulrich nicht mehr wiedersehen würden. Jedenfalls nicht als Wesen aus Fleisch und Blut: Was bleibt sind die Schriften, Worte, Erinnerungen. Ulrichs Werk inhaltlich zu kommentieren ist hier nicht der geeignete Kontext. Aber ich erinnere Ulrich als Mentor und Kollegen von großer Güte, Wärme, und Geduld. Es war erstaunlich zu beobachten, wie er die herausgehobene Rolle, die ihm von der Öffentlichkeit angetragen wurde, mit grenzenlosem Einsatz ausfüllte und dennoch für uns nahbar und umgänglich blieb.

Bernhard Gill

 

Selbst zwei Wochen nach der schockierenden und tieftraurigen Nachricht ist Ulrichs Tod immer noch kaum zu begreifen. Als wir uns im Oktober das letzte Mal sahen, sprühte er vor Tatendrang und Ideen. Er hatte noch so viel vor und zu sagen. Sein dem methodologischen Kosmopolitismus gewidmete ERC-Projekt lief auf Hochtouren, und begeistert erzählte er von den vielen Menschen, die in aller Herren Länder – man könnte sagen: ebenso kosmopolitisch wie kosmopolitisierend – mit ihm daran arbeiteten. So war Ulrich bereits in den Seminaren, die ich im Studium bei ihm besucht hatte: Begeistert und begeisternd, mit Leidenschaft für die und bei der Sache, darauf aus, dieses ihm eigene soziologische Feuer auch in anderen zu entfachen, ohne dabei in irgendeiner Weise abgehoben, festgefahren oder gar unnahbar zu sein. In den Jahren im Sonderforschungsbereich und am Institut hat sich dieser Eindruck bestätigt. Ich habe ihn als warmherzigen, geduldigen, großzügigen, loyalen, hilfsbereiten und über die Maßen kreativen Menschen kennen gelernt, der immer den entscheidenden Schritt weiter dachte – und dem ich sehr viel zu verdanken habe. Er fehlt uns allen sehr.

Michael Heinlein


Unübersehbar war Ulrich Beck schon, als er, umringt von Jüngern und Verehrerinnen, in der Konradstraße Soziologie studierte. Kennen und schätzen gelernt habe ich ihn aber erst in Bamberg als geschäftsführenden Herausgeber der SOZIALEN WELT, der mit mir, dem Redakteur, sechs Jahre lang über die eingereichten Manuskripte diskutierte und entschied. Sein Grundprinzip, die strategische Kommunikation mit den organisatorischen Umwelten von der internen Kommunikation strikt zu trennen, schaffte bei den Redaktionssitzungen (ab 1992 oft in Ambach am Starnberger See) eine völlig entspannte, offene Arbeitsatmosphäre, die zunehmend persönliche Verbindlichkeit und gegenseitiges Vertrauen begründete. Das wurde zugleich zur stabilen Basis für oft sehr kontroverse Diskussionen vieler seiner Thesen und Texte, als auch für ein paar kritische Versuche meinerseits, Entstehung und Logik der Beckschen Theorieentwicklung zu rekonstruieren. Diese Texte hat er dann mit einer dankbaren und anerkennenden Widmung in einem Exemplar des jeweils aktuellen Werks quittiert. Ulrich Beck verdanke ich durch solche Erfahrungen den Beweis, dass abhängige Arbeit auch unter den gegebenen Verhältnissen gelingen kann. Das Fest zu seinem 70sten mit seinen vielen Mitarbeitern und ein sehr langes Gespräch im letzten Herbst – übrigens auch im Café Florian – erscheinen mir im Rückblick wie Stationen seines Abschieds. Aber trotz des Schocks, den sein plötzlicher Tod erzeugt hat, bleibt er mir erhalten – gleichsam als Institution, die nicht an seine physische Anwesenheit gebunden ist.

Elmar Koenen


Ulrich Beck war ein großartiger Lehrer, der auf eine erfrischend respektlose Art Wege in die Soziologie und ihre Werke eröffnete und mein Interesse bediente, die widersprüchliche Gegenwart zu verstehen – wo dies geraten ist, im Rückgriff auf Interpretationen über Fach- und Diskursgrenzen hinaus.

Ulrich Beck war auch ein großartiger Doktorvater, sachlich interessiert, fachlich hochkompetent, aber großzügig, was die Wahl der Methode, der berücksichtigten Ansätze und auch die Schlussfolgerungen anging.

Ulrich Beck war ein großartiger Chef, der zu Erkundungen inspirierte, vor den Klippen der akademischen Alltagsgeschäfte warnte, ungeplante Geschehnisse amüsiert zur Kenntnis nahm und immer dienstags von sich und aus der Welt erzählte.

Großartig war auch, wie er sich feiern lassen konnte, wie er auch in den Jahren getrennter Wege mit mir über kleine und große Fragen nachdachte (mitunter im Café Florian), wie sehr er an den Nachspeisen hing, wie er mir zu jeder Tages- und Nachtzeit in deutschen und ausländischen Medien begegnete, wie er in seinem Denken der Fachdebatte immer mindestens eine Nasenlänge voraus war.

Großartig wäre sicher auch unsere für die kommenden Monate geplante Zusammenarbeit im Projekt CosmoClimates gewesen. Sein unerwarteter und früher Tod ist fürchterlich traurig. Für mich, für die Soziologie, für Europa.

Cordula Kropp


Der Ulrich Beck, den ich kenne, dem ich einige Jahre assistieren – und das heißt: von dem ich lernen und bei dem ich mich selber erproben – durfte und der mir ein vertrauter und vertrauensvoller Freund geblieben ist, auch als ich den Weg gegangen bin, der in das führte, was er „Provinzialität“ genannt hat, dieser Ulrich Beck wollte Wirkung erzielen. Und er hat Wirkung erzielt: im Großen als soziologischer Innovator, als kosmopolitisierender Intellektueller, als Generator kritischen Wissens und Gegenwissens; aber eben auch im kleinen als umgänglicher, zugewandter, zartfühlender und (mithin) ungemein liebenswerter Mit-Mensch. Der Ulrich Beck, den ich kenne, wollte uns allen – denen, die ihm nahe kamen, ebenso wie denen, die ihm fern blieben – helfen, die Augen zu öffnen (auch und gerade gegenüber dem, was wir eigentlich lieber nicht sehen mögen) und unsere Erlebenshorizonte und Erfahrungschancen zu erweitern (auch wenn es dazu mitunter des Denkens und Propagierens konventionell befremdlich erscheinender Ideen bedurfte).

Ulrich Becks Wirkkraft kam wesentlich aus den Bildern, in die er zu fassen verstand, was fassbar zu machen ihm wichtig war. Er war ein begeisterter Metaphoriker – und ein Erz-Essayist. Letzteres und insbesondere die Kunst des Zweifels, die er immer wieder anmahnte, dankte er seinem eigenen Bekunden nach vor allem Michel de Montaigne. Und wie für diesen hieß auch für Ulrich Beck, etwas deutlich zu sagen, nicht unbedingt, es begrifflich präzise zu sagen. Es bedeutete für ihn eher, es so zu sagen, dass (wir) Menschen anfangen, klarer zu sehen, was los ist. Im stilistischen Entscheidungsfalle präferierte er gegenüber einer analytischen Klarheit folglich eine Klarheit in der Tradition der Aufklärung und der kritischen Bewusstseinsbildung, denn vor allem wollte er falsche Neutralitäten überwinden und Partei ergreifen gegen vermeintliche politische und wirtschaftliche Sachzwänge, gegen soziale und technologische Selbstläufe.

Der Ulrich Beck, den ich kenne, glaubte daran, dass jenseits der und gegen unsere eingegleisten Scheinfatalismen andere Lösungen nicht nur denkbar, sondern – gerade angesichts all der Risiken, die wir qua Modernisierung allenthalben produziert haben und produzieren – auch machbar sind. Er war überzeugt davon, dass wir, was wir machen, auch anders machen können. Deshalb hat Ulrich Beck (uns alle) immer wieder gefragt, wie wir – wirklich – leben wollen. Auch dort, wo meine Antworten nicht (mehr) die seinen sind, bleibt er mir in dieser Frage gegenwärtig.

Ronald Hitzler


Eine persönliche Erinnerung an Ulrich Beck (15.5.1944 - 1.1.2015)

Kurz vor der Jahrtausendwende hatte der Rowohlt Taschenbuch Verlag „50 Zeitgenossen“ – von Heiner Geißler über Hans-Dietrich Genscher, Robert Gernhardt, Volker Schlöndorff oder Jürgen Trittin bis zu Ulrich Wickert – gebeten, sich daran zu erinnern, was „die Republik“ bis dahin „bewegt“ hatte. Zum Jahr 1972, in dem der sogenannte „Extremistenbeschluss“ vom Kanzler Willy Brandt und den Ministerpräsidenten der Länder unterzeichnet wurde (gemäß diesem auch als „Radikalenerlass“ bekannten Beschluss wurden bis zum Beginn der 1980er Jahre ca. 1,5 Millionen Bewerber für den öffentlichen Dienst durch eine „Regelanfrage“ bei den Verfassungsschutzämtern auf ihre Treue zur „Freiheitlich-Demokratischen Grundordnung“ überprüft), findet sich in diesem Buch der folgende Text von Ulrich Beck. Er trägt den an Heinrich Heine gemahnenden Titel „Denk ich an Deutschland…“ und ist, wie ich vermute, weithin unbekannt:

„Ich erbitte einen Augenblick unlizenzierter Erinnerung. Soll dies möglich sein, muß das folgende als frei erfunden gelten. Es war einmal ein junger Professor Unbekannt, der an einem Ort Unbekannt seinen ersten Lehrstuhl erhielt und bei seiner ersten Entscheidung, der Einstellung seines Assistenten, mit der Praxis des Radikalenerlasses kollidierte. Wie das? Der Kanzler der Universität Unbekannt teilte ihm am Telefon mit gesenkter Stimme mit: Der von ihm Vorgeschlagene habe nicht das Wohlwollen des Verfassungsschutzes gefunden. Konnte da nicht eine Verwechslung vorliegen? Der Professor bat um Akteneinsicht. Eine unruhige, von Gewissensbissen zernagte Woche später wurde eine Verwechslung vom Verfassungsschutz strikt ausgeschlossen. Zugleich konnte der junge Professor der besagten Akte nun zweierlei Bestürzendes entnehmen: Die linksradikalen Aktivitäten seines Kandidaten waren so alarmierend wie die Darlegungen des Verfassungsschutzes detailliert. Man hatte offenbar alle Soziologieseminare der diesbezüglichen Universität (soll man sagen:) «besucht» und alle Wortmeldungen des Kandidaten im einzelnen mitprotokolliert.
Die Universität und das Ministerium verfolgten die Politik, im Falle von Verfassungsschutzbedenken die Einstellung des Beschuldigten ohne Begründungszwang abzulehnen. Der Professor fühlte sich allein gelassen. Auf seine Bitte um Rat kam meist die eine Antwort: Tu's nicht! Was er nicht tun sollte, blieb seltsam offen. So tat er's doch: Er rief seinen Kandidaten an und sagte, es lägen erhebliche Bedenken gegen ihn vor. Mit der glaubwürdigsten Stimme der Welt antwortete dieser: «Das bin ich nicht, purer Unfug» «Kann er das auch beweisen?» fragte daraufhin der Rektor. Nicht der Kandidat, aber die Universität, an der die Seminare «besucht» worden waren, zwang den Verfassungsschutz schließlich zum Eingeständnis seines Irrtums - ein Eingeständnis mit der Auflage, alle diesbezüglichen Akten stillschweigend zu vernichten. Und wie es im wirklichen Märchen so zugeht: Der ehemalige Kandidat ist inzwischen selbst längst ein Professor Unbekannt an einer unbekannten Universität.
Vielleicht sollte ich noch anfügen, daß ein ostdeutscher Kollege, der in der DDR aufwuchs, unlängst unserem Professor gegenüber mutmaßte, dies sei doch eine inszenierte Falle des Verfassungsschutzes gewesen - nicht um den Kandidaten auszuschließen, sondern um ihn, den jungen Professor, auf seine «Zuverlässigkeit» zu prüfen. Selbstverständlich hat das Ganze nichts, gar nichts mit den Vermutensgewohnheiten in Deutschland zu tun.“

(Beck, Ulrich (1999): Denk ich an Deutschland…, in: Hofmeister, Barbara/Naumann, Uwe (Hg.) (1999): Was die Republik bewegte. 50 Zeitgenossen erinnern sich, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S. 58)

Zu den im Text beschriebenen Ereignissen im Jahr 1981 war es gekommen, weil der Freistaat Bayern an der Praxis der „Regelanfrage“ länger als andere Bundesländer fest hielt. Der „ehemalige Kandidat“, der „inzwischen selbst längst ein Professor Unbekannt an einer unbekannten Universität“ ist, ist der Unterzeichner dieses Beitrags. Und der „junge Professor Unbekannt, der an einem Ort Unbekannt seinen ersten Lehrstuhl erhielt“, war niemand anderes als Ulrich Beck, dem ich bis heute sehr dankbar dafür bin, dass er schon damals nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch die „Logik“ von Institutionen hinterfragte, sich dabei nicht einschüchtern ließ und mir so die Chance gab, mich gegen die Verdächtigungen zu wehren.

Peter A. Berger


Verbunden hat mich mit Ulrich Beck erst an zweiter Stelle die Soziologie. An erster Stelle stand die geteilte Gewissheit, dass der Starnberger der schönste aller Seen ist (vom Ostufer aus allemal). Sein Glitzern hat ihn beim Schreiben beflügelt. Der See war Ulrich aber mehr als bloße Augenweide. Die „Erfindung des Politischen“ – das Buch, an dem ich insofern mitschreiben durfte, als es mir als studentische Aushilfssekretärin für ein Semester oblag, seine Manuskripte ins Reine zu bringen (wobei die Herausforderung nicht im Entziffern seiner Bleistift-Korrekturen, sondern in der inhaltlichen Rückmeldung bestand, die Ulrich beim Entgegennehmen jeder neuen Fassung selbstverständlich einforderte) – habe er, so schreibt er im Vorwort, unter der „Obhut“ des Sees verfasst. Ich kann nur erahnen, was er für sich damit gemeint hat. Für mich bringt es das Gefühl zum Ausdruck, das sich beim Einbiegen auf die Nördliche Seestrasse in Ammerland mit dem ersten See-Blick verlässlich einstellt: Manchmal liegt er dann so postkartenkitschig da, dass man sich für sein Weißblau fast schämen mag. Mal ist er recht unaufgeregt fad und blass. Bei Fön hält er den Alpen den Spiegel hin. Und wenn’s stürmt, gischtet er fast tropisch grün. In einer Variante aber ist er immer da. Ganz und gar – ein Streifen Wirklichkeit.

Michaela Pfadenhauer


„Wenn es eine Vernunft gibt, dann ist sie gegen die Unvernunft der Verhältnisse gerichtet.“ (Ulrich Beck, 21.12.2014). Es fällt schwer, diese Worte zu notieren. Es sind Worte von Ulrich Beck, formuliert im Rahmen eines langen Gesprächs noch zum Ausklang des Jahres, von dem weder er noch ich ahnen konnten, dass es das letzte zwischen uns sein würde. Dann die Nachricht von Ulrich Becks Tod – nein, es stimmt nicht, es kann nicht sein, ein Nichtwahrhabenwollen, das doch bereits um seinen Irrtum weiß. Inzwischen ist vieles gesagt und geschrieben worden. Kollegen und Kolleginnen aus aller Welt haben fassungslos und erschüttert reagiert, es gab die Nachrufe, es gab Gespräche unter Freundinnen und Freunden, und doch gelingt es (mir) kaum, das Unbegreifbare begreifbar zu machen. Mit Ulrich Beck zusammenarbeiten zu dürfen (es begann als Assistentin Mitte der 1990er Jahre) war eine besondere und kostbare Erfahrung. Sie beinhaltete, ein reiches Werk in seiner beständigen Weiterentwicklung zu begleiten, sie bedeutete ein andauerndes Fragen stellen, ein Suchen und Ringen, ein beharrliches und schöpferisches Drehen und Wenden der Begriffe, der Zugänge und Perspektiven – ja, und auch das konnte man von Ulrich Beck lernen, Wissenschaft kann eine Freude sein und eine Lust, eine Passion, die umso schöner, umso kraftvoller zur Geltung und Entfaltung kommt, je mehr sie sich von Kleingeistigkeit, von Traditionalismus und eingefahrenen, eingeübten Denk- und Seh -und Schreibgewohnheiten entfernt. Das braucht Mut, das braucht Größe und nicht zuletzt die Fähigkeit, Anfeindungen auszuhalten - Ulrich Beck hat all das gelebt und konnte bei alldem unendlich zugewandt, warm und einfühlsam sein. Ulrich Beck verkörperte ein Denken der Aufklärung, das sich selbst kritisieren und weit über Wohlfeiles hinauswachsen kann – und muss. Er verkörperte schlichtweg, im „Sinn und Wahnsinn der Moderne“ (Trier 2014): Hoffnung. Diese Moderne ist längst zu einer kosmopolitischen geworden, auch gegen den Fundamentalismus ihrer Gegner. Ulrich Beck fehlt so sehr. Seine Ideen werden weiter leben. Ich will es immer noch nicht wahrhaben, dass er einfach nicht mehr da sein soll.

Angelika Poferl


Wir hatten uns irgendwie aus den Augen verloren.

12 Jahre lang waren die Theorien und Ideen von Ulrich Beck eine Art Lebenspartner für mich gewesen. Überhaupt war Ulrich der Grund gewesen, dass ich 1997 mein Chemie-Studium aufgegeben und in die Soziologie gewechselt bin (kurioserweise von einem Beck zum anderen). Seine Vorlesung über die “Sozialstruktur der BRD” in der Großen Aula der LMU München war meine erste Begegnung mit der Soziologie. Was für eine furiose Begegnung!

Während andere Professoren ihre Vorlesungen mit den einfachsten Grundbegriffen und Statistiken begannen, die man auch aus der Tageszeitungslektüre kannte (und die auch nicht mehr Anregung lieferten), stieg Ulrich mit einer Beweisführung ein, warum die Grundbegriffe der Ersten Moderne – Nationalstaat, Sozialstruktur, sozialer Wandel – längst überkommen seien und nur noch als Zombiebegriffe durch die Gegenwart stolperten. Der ein oder andere Erstsemester verließ mit rauchendem Kopf die Vorlesung, aber für mich war das genau das, was ich brauchte. Und der maximale Kontrast zur Chemie.

Meine Diplomarbeit setzte sich dann auch mit seinem Konzept der “Inneren Globalisierung” auseinander. Kern war die These, dass unsere Welt im Inneren längst sehr viel globalisierter und hybrider ist, als es äußerlich den Anschein hatte. Um Ulrich Becks Vermutung zu belegen, dass Großkonzerne sich gerade einem intensiven Prozess der Inneren Globalisierung unterzogen, tippte ich Zeile um Zeile aus den statistischen Jahrbüchern der United Nations Conference on Trade and Development ab, um sie dann statistisch zu analysieren. Das Ergebnis schaffte es dann immerhin als fast ganzseitiges Fußnotenzitat in sein Buch “Macht und Gegenmacht im globalen Zeitalter”.

Die Theorie der Inneren Globalisierung verwandelte sich dann im Sonderforschungsbereich 536 “Reflexive Modernisierung” allmählich in die Theorie der Kosmopolitisierung. Dabei zeigte sich einmal mehr, wie schnell Ulrich sich und seine Ideen weiterentwickelte – während sein Umfeld allmählich die Globalisierungstheorie und Reflexive Modernisierung verstanden und akzeptiert hatte, war er schon wieder einen Schritt weiter und hatte längst eine neue Dimension der Gesellschaftstheorie entdeckt. Mit Ulrich zusammenzuarbeiten hieß immer auch: soziologische Theoriebildung auf der Überholspur. Aber wenn man sich darauf einließ, konnte das schnell zu einem beidseitigen Anfeuern und Antreiben werden.

Nach dem Ende des Sonderforschungsbereichs 2009 verließ ich (fürs erste) die Wissenschaft und wechselte in die Wirtschaft. Einen wirklichen Abschied hat es damals aber nicht gegeben. Fünf Jahre habe ich die Münchener Soziologie dann nur noch am Rande verfolgt. Bis im September 2014 dann die Einladung zu einem Treffen aller ehemaligen Assistenten und Mitarbeiter von Ulrich Beck per Mail kam.

Die Gruppe traf sich – aufgrund des Bahnstreiks etwas dezimiert – im Fakultätssaal der LMU. Ich erzählte Ulrich, dass ich zwar nicht mehr in der Wissenschaft arbeite, aber trotzdem immer wieder Theoriebausteine, insbesondere der Kosmopolitisierungstheorie, in meiner praktischen Arbeit verwende. Mein Eindruck war, er freute sich sehr darüber, dass das kosmopolitische Projekt immer stärker auch außerhalb der akademischen Welt zum Leben erwacht. Außerdem stellten wir fest, dass wir mittlerweile wieder ein gemeinsames Thema hatten: die Frage, welchen immensen Beitrag das Internet und soziale Medien zur Kosmopolitisierung der Welt haben.

Auf einmal waren wir wieder mitten in einem lebhaften und produktiven Austausch mit vielen Telefonaten, Mails und Diskussionen über Big Data, Twitter-Analysen und memetische Kommunikation in seinem neuen Büro in der Schellingstraße. Im Dezember trafen wir uns dann in Paris auf dem Workshop seines neuen EU-Forschungsprojekts in der Fondation Maison des sciences de l’homme. Die Teilnehmer kamen aus Brasilien, England, Frankreich, China, Südkorea, Kanada oder Dänemark. Es war begeisternd zu sehen, wie aus Ulrichs Ideen ein globales Forschungsvorhaben geworden war – und er in dieser kosmopolitischen Forschungsgemeinde zu Hause war.

Ich verabschiedete mich von Ulrich mit dem guten Gefühl, dass dies der Anfang einer aufregenden neuen Phase der Zusammenarbeit sei. Gleich Anfang Januar wollten wir uns wieder treffen, um weiter an den “kosmopolitischen Daten” zu arbeiten. Dass mit einem Schlag aus der neuen Phase dann leider doch nur ein letztes Aufflammen geworden ist, tut sehr weh. Gleichzeitig bin ich aber unendlich dankbar für die letzten zweieinhalb Monate.

Benedikt Köhler

 

Ich stand auf dem Flur und wechselte von einem Fuß auf den anderen. War ich eingestellt, oder nicht? Die Tür öffnete sich und mit einem lachenden „Willkommen an Bord“ begrüßte mich Ulrich Beck mit dem Händedruck eines Seemanns. Es war meine erste Stelle bei ihm in einem VW - Forschungsprojekt. Ich ahnte nicht, dass sich aus dieser Einstellung eine langjährige Zusammenarbeit entwickeln würde. Die Wachheit seiner Augen, die Freundlichkeit und Gelassenheit im Umgang mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie nicht zuletzt sein verschmitzter Humor blieben über all die Jahre, in denen ich mit Ulrich Beck zusammenarbeitete, immer die wesentlichen Charakteristika seiner Person. Ulrich war ein Menschenfreund.

Sechs Jahre später, der Sonderforschungsbereich 536 „Theorie reflexiver Modernisierung“ stand zur Evaluation an. Würde es weitergehen oder nicht? Wir trafen uns in der Katholischen Akademie zur Begutachtung durch die DFG. Es war früh am Morgen, und so stapfte Ulrich gemeinsam mit mir durch den hohen Schnee im Englischen Garten. Er spürte meine Nervosität und erzählte mir kuriose und witzige Geschichten, um meine Anspannung ob der bevorstehenden Begutachtung zu vertreiben. Dies gelang ihm nicht nur bei mir, sondern er vermittelte seinem ganzen Umfeld eine atmosphärische Sicherheit, die uns alle in der Prüfungssituation trug. Ulrich war ein integrierender Mensch. Er konnte Mitarbeitern Erfolg gönnen. Hinter seinem breitem Rücken konnte sich viel Verschiedenheit und produktive Selbstständigkeit entwickeln.

Wenn man mit Ulrich Wandern ging, musste man sich in seinem Auto zwischen diversen Manuskripten, Wanderrucksack und Wanderschuhen seinen Sitzplatz erst erobern. Die Fahrt selber wurde dann aber zu einem eigenen Abenteuer, wenn es Ulrich gelang, seinen Beifahrer während der Fahrt von der Riskanz des Autofahrens zu überzeugen. Gleichzeitig chauffierte er einen mit großer Gelassenheit in seinem Mercedes über die Autobahn. Er war ein Könner in der rhetorischen Produktion von Double-Bind-Situationen, in denen es ihm letztlich immer um die daraus folgenden Entscheidungsmöglichkeiten ging. Vor den Entscheidungssituationen der Uneindeutigkeit hat er nie resigniert. Ulrich war ein skeptischer Optimist.

Ulrich liebte die Landschaft des Staffelsees und des Murnauer Moos'. In der Erinnerung an ihn begleitet mich ein Bild – die Rückfahrt mit dem Boot von Seehausen nach Murnau. Er stand an der Reling, betrachtete nachdenklich seine Mitarbeiter und langsam entfernten wir uns vom vertrauten Ufer.

Stefan May